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Gerade als ihm das erste Ferkel hinübergereicht werden sollte, trat die Sau aber zurück. Das Brett wippte,
und der Wolf fiel auf das Mühlrad, wurde von den Schaufeln tüchtig zerschlagen und dann ins Wasser geschleudert,
aus dem er erst mit vieler Mühe kaum sein Leben zu retten vermochte. Sau und Ferkel aber hatten inzwischen
längst Abschied genommen.
Mißmutig und ganz am Leben verzagend hinkte der Wolf nun zurück in den Wald, wo ein alter Besenbinder mit
seinem Beile Holz schlug und Reiser suchte. Wie der den Wolf erblickte, kletterte er vor Angst auf einen Baum.
Der Wolf hatte ihn in seinem Kummer gar nicht bemerkt, sondern legte sich unter denselben Baum und verwünschte
sein Schicksal. „Ach,“ seufzte er, „ich bin so unglücklich, würfe doch der liebe Gott ein Beil herab und
erschlüge mich.“ Der Besenbinder, nicht faul, warf ihm mit tüchtigem Schwunge sein Beil auf den Schädel.
Da schrie der Wolf noch auf: „O, du lieber Gott, so ernst hatte ich es nicht gemeint!“, und dann verschied er.
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60. Der Fuchs und die Gans.
Eine Gans, die friedllich auf dem Felde graste, sah plötzlich dicht neben sich Bruder Reinhard, der sich
unbemerkt herangeschlichen hatte. Da an ein Entfliehen nicht mehr zu denken war, verbarg sie ihren Schrecken
und rief dem Fuchs zu: „Komm doch her und hilf mir suchen; ich habe einen Groschen verloren. Finde ich den
nicht wieder, so will mir der Bauer den Kopf abschlagen. Dann wäre es mir noch lieber, wenn du mich fräßest.“
Der Fuchs tat ganz bereitwillig und machte sich mit an das Suchen, obgleich er nur den Gänsebraten im Auge
hatte und an den Groschen gar nicht dachte. Dabei blieb er stets dicht an der Seite der Gans, so daß es dieser
nicht gelang, abseits zu gehen und zu entfliehen, wie sie gewollt hatte. Gar bald erklärte er denn auch,
das Geldstück sei nicht zu finden und er wolle die Gans nun fressen. Dabei packte er sie auch schon mit der
Schnauze am rechten Flügel. Die Gans erklärte, sie sei zum Sterben bereit, doch solle der Fuchs ihr vorher
noch die eine Freude machen und mit ihr tanzen. Der Fuchs ließ sich erbitten und schlenkerte sie lustig im
Kreise herum. Die Gans schien darüber sehr vergnügt zu sein und schrie zum Tanze fröhlich ihr „Kiijack!
Kiijack!“ Da vergaß sich der Fuchs und rief lustig: „Hopsassa, Hopsassa!“ Dabei hatte er aber das Maul
geöffnet und den Flügel der Gans losgelassen. Diese, durch den Tanz in Schwung gebracht, erhob sich plötzlich
in die Luft. Von dort rief sie dem verblüfften Fuchs zu, sie wolle nur dem Bauern Bescheid sagen und von
ihm Abschied nehmen; er solle nur nach dem Hofe nachkommen und rufen: „Bedenk di! Bedenk di!“, dann würde
sie sich bei ihm einstellen. Damit flog sie dem Gehöfte zu, wo sie sich auf dem großen Teiche niederließ.
Der Fuchs folgte ihr auch arglos nach, kroch durch ein Loch des Zaunes in den Garten und rief der Gans zu:
„Bedenk di! Bedenk di!“ Die Gans aber schwamm lustig auf dem Wasser umher und rief: „Du, ick häww mi all
bedacht!“ Da liefen auch schon die Hunde, die durch das Geschrei aufmerksam gemacht worden waren, herbei
und wollten dem Fuchs das Fell zerzausen. Dieser merkte jetzt, daß er betrogen war, nahm schleunigst Reißaus
und sprach ingrimmig zu sich: „Das ist das erste und letzte Mal, daß ich mich am Ende eines Dinges bedacht
habe; künftig werde ich mit dem Bedenken anfangen.“
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