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II. Der Drescher und das Gespenst.
Heute kann so etwas wohl kaum noch geschehen; denn mit den vielen Maschinen, die jetzt auch der Bauer auf dem
Lande hat, wissen die Gespenster nicht Bescheid. Daher mag es wohl auch kommen, daß die Menschen kaum noch
eine richtige Gespenstergeschichte erleben. Was soll z. B. ein Gespenst mit einer Dreschmaschine anfangen,
die so laut und hastig brummt und rattert, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann?
Da war es früher doch anders, wenn das Korn mit dem Flegel gedroschen wurde, oft wochenlang im Spätherbst und
Winter, von morgens drei oder vier Uhr an bis zum Abend. Das war wohl eine schwere Arbeit; trotzdem klang das:
Klupp - klipp - klapp - klapp! - Klupp - klipp - klapp - klapp! doch recht gemütlich, und noch behaglicher war
der Dreitakt: Klupp - klipp - klapp! - Klupp - klipp - klapp! Zu zweien war das Dreschen freilich etwas langweilig,
und gern holte sich der Bauer den dritten und vierten Mann zu Hilfe, nötigenfalls aus dem Nachbardorfe.
So half auch ein Mann aus Reckow in Gerbin beim Dreschen. Die Leute hatten sich über Tag nicht geschont und
die Flegel tüchtig geschwungen. Der Reckower war darum nicht böse, als er nach einem guten Abendbrot und einem
kräftigen Gläschen Schnaps am Abend seinen Flegel über die Schulter hängen und seine müden Knochen heimtragen
konnte.
Wie er so wohlgelaunt des Weges dahinging, klopfte ihm plötzlich jemand auf den Rücken. Verwundert drehte er
sich um, aber es war niemand da. Nach ein paar Schritten fühlte er das Klopfen wieder, und wieder war niemand
zu sehen. Nun wurde ihm die Sache bedenklich. Meldete sich da ein Geist? Eiligst schritt er weiter; aber häufiger
und häufiger fühlte er nun am Rücken das leise Klopfen, ohne daß jemand zu erblicken war. Jetzt hatte er bald
keinen Zweifel mehr daran, daß ein Gespenst ihn unsichtbar begleitete; aber Gespenster bringen nichts Gutes.
Ihm wurde heiß und kalt; er ging schneller und schneller; er lief zuletzt. Aber alle Augenblicke fühlte er das
unheimliche Klopfen. Er murmelte alle Sprüche, die er wußte; das Klopfen blieb. Ihm wurde mehr und mehr zur
Gewißheit, daß ihm sein baldiger Tod angesagt werden sollte.
Ganz erschöpft und ermattet kam er zu Hause an. Seine Angehörigen erschraken über sein verstörtes Wesen und
fragten erschrocken, was ihm wäre. Mit Mühe nur konnte er berichten, was er erlebt hatte. Gedrückt hörten
alle zu; nur der Nachbar, der zufällig anwesend war, meinte mit etwas niederträchtigem Grinsen: „Di hätt doch
ma bloß din Flegel anstött, den du upp ‘n Puckel hädst!“ Na, das gab eine Erlösung, ein Gelächter und -
eine Beschämung.
Noch oft mußte der Drescher den Spott der andern darüber anhören, daß er sich vor seinem eigenen Flegel
gefürchtet hatte.
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59. Des Wolfes Leidensgeschichte.
Eine Stute war mit ihrem Fohlen auf der Weide. Da kam ein hungriger Wolf an und suchte, sich des Fohlens zu
bemächtigen. Die Stute sah ein, daß hier nur List retten könne, lief dem Wolf hinkend entgegen und rief ihm
zu: „Willst du nicht mein Junges nehmen? Ich mag es nicht mehr haben. Doch eine Liebe ist der andern wert;
du mußt mir dafür vorher den Splitter, den ich mir in den rechten Hinterfuß getreten habe, herausziehen.“
Der Wolf war hoch erfreut darüber, auf so leichte Weise zu einer guten Beute zu kommen, willigte sogleich
ein und näherte sich dem Hinterbein der Stute. Kaum war er jedoch mit dem Maule an den Huf gekommen, als die
Stute ihm einen solchen Schlag gegen den Schädel versetzte, daß er bewußtlos zusammenbrach. Als er sich wieder
erholt hatte, waren Pferd und Fohlen längst verschwunden.
Da aber sein Hunger noch größer geworden war, erhob sich der Wolf mühsam, um weiter zu gehen. Bald sah er
zwei Ziegenböcke, welche sich um ihre Weideplätze zankten. Weil er meinte, sie hätten ihn bei ihrem Streit
nicht bemerkt, schlich er vorsichtig näher, um sie zu überraschen. Sie hatten ihn aber schon längst gesehen
und den ganzen Streit nur aus List angefangen. Als er näher kam, baten sie ihn, Schiedsrichter zu sein.
Den, welcher Unrecht bekommen würde, dürfe er zum Lohne fressen. Der Wolf willigte gern ein, und nun mußte
er sich zwischen den beiden Böcken aufstellen. Diese blinzelten sich heimlich mit den Augen zu und rannten
plötzlich mit so großer Wucht auf den Wolf los, daß ihm die Rippen im Leibe brachen und er wie tot zu Boden sank.
Erst nach langer Zeit kam er wieder zu sich, aber da war von den Ziegenböcken nichts mehr zu sehen. Mit
zerschlagenem Kopfe und zerbrochenen Rippen setzte er darum seine Wanderung fort und traf endlich eine Sau
mit neun Ferkeln, die sorglos am Mühlengraben wühlten. Diesmal erschien ihm ein guter Braten ganz sicher.
Die Sau aber hatte gut aufgepaßt und den alten Räuber rechtzeitig erblickt. Sie lief ihm entgegen und rief:
„Friß doch eins oder zwei von meinen Ferkeln, ich kann sie gar nicht mehr alle ernähren, denn es sind ihrer
zu viele.“ „Sehr gern“, erwiderte der Wolf und wollte gleich zubeißen. „Ach nein,“ sprach da die Sau,
„zuvor müssen wir sie doch taufen, damit sie selig sterben.“
Der Wolf war’s zufrieden, und sie gingen zur Wassermühle, an die Stelle, wo das Wasser auf das Mühlrad
herabfällt. Dort schob die Sau ein Brett halb über die hölzerne Rinne und stellte sich auf das andere Ende,
damit es nicht hochwippte. Der Wolf mußte sich nun so auf das Brett setzen, daß er sich über dem Wasser befand,
um die Ferkel taufen zu können.
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