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48. Die Glocken im Kaminsee.
Im südlichen Teile des Kreises Schlawe zwischen Sydow und Breitenberg liegt eine „steinreiche“ Gegend,
im Volksmunde das Teufelsreich genannt. Hier findet man den lieblichen Kaminsee (d. i. Steinsee).
Sein Wasserspiegel befindet sich 160 Meter über dem Meere und ist 80 Meter höher als der Spiegel des
zwei Kilometer westlich davon liegenden Niedersees.
Die Leute erzählen, an der Stelle, wo heute der See sich befindet, sei früher eine Stadt mit einer
großen Kirche gewesen. Die Stadt sei untergegangen; noch jetzt sind Balken davon im See zu finden.
Hier haben manche Menschen schon Wunderbares erlebt.
In einer Neujahrsnacht gingen einmal zwei Männer auf dem Wege, der am See vorbei nach Breitenberg führt.
Es war damals noch ein gewöhnlicher Landweg. Wie sie so wandern, hören sie auf einmal vom Wasser her
Glocken läuten. Das kommt ihnen verwunderlich vor. Sie gehen näher zum See, denn sie wollen doch wissen,
woher das Läuten kommt.
Da sehen sie über dem Wasser im Dunst zwei Glocken schweben, die läuten und kommen dabei immer näher
ans Ufer. Wie die Glocken ganz dicht am Lande sind, können die Männer deutlich hören, daß die Glocken
etwas sagen. Die kleine spricht: „Susanne, will wi to Lanne?“ Aber die große antwortet: „Gret, wedder
in ‘t Deipe! Wedder in ‘t Deipe!“ Darauf kehren sie wieder um nach der Mitte des Sees und verschwinden
dort im Wasser.
Die Männer waren sehr erstaunt über das, was sie gesehen hatten, denn sie konnten es sich nicht erklären.
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49. Wie die Stadt Kamin unterging.
Die Leute in der Stadt Kamin waren böse Zauberer und Hexen, die allen Schabernack zufügten. Einmal sollte
in der Stadt ein Pferd beschlagen werden. Das wurde dabei unruhig und stieß mit einem Hufe ein paarmal
kräftig gegen den Boden, wo gerade ein Stein lag. Der sprang entzwei, und aus der Stelle, wo er gelegen
hatte, kam ein Wasserstrahl in die Höhe. Der stieg immer höher und höher und wurde immer dicker. Schließlich
war er höher als die Häuser in der Stadt, die alle überschwemmt wurden und einfielen. Das ging so schnell,
daß sich kein Mensch retten konnte.
Das soll in einer Neujahrsnacht geschehen sein; darum hört man in dieser Nacht die Kirchenglokken vom Grunde
des Sees läuten. Die Geister der Hinabgesunkenen kommen empor und waschen ihre Hemden, bis sie ganz weiß sind.
Die Mauern der Stadt sind noch heute tief unten zu sehen.
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